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Analysis-Blog: Folge 9

Die Wurzel aus 2 ist irrational

Woran es den rationalen Zahlen mangelt


Peter Becker

veröffentlicht: 07 Mar 2024, zuletzt geändert: 19 Apr 2024 16:12

Schlüsselwörter: Wurzel, rationale Zahl, Teiler, Primzahl

Bisher haben wir die reellen Zahlen als angeordneten und normierten Körper konstruiert. Neben den reellen Zahlen gibt es aber auch andere Körper, die angeordnet und normiert sind, und die Du sogar schon kennst, beispielsweise den Körper $\mathbb{Q}$ der rationalen Zahlen. Wozu brauchen wir also noch die reellen Zahlen? In dieser Blog-Folge verrate ich Dir, welchen schweren Mangel die rationalen Zahlen haben.

Leider haben die rationalen Zahlen einen schweren Mangel: Bestimmte Gleichungen lassen sich in den rationalen Zahlen nicht lösen. Wir werden gleich sehen, dass schon die Gleichung $x^2 = 2$ in $\mathbb{Q}$ nicht lösbar ist. Rationale Zahlen basieren auf Brüchen und Brüche alleine sind demnach zu wenig, um solch eine Gleichung lösen zu können. Das tatsächlich keine Lösung in $\mathbb{Q}$ existiert, müssen wir natürlich beweisen.

Satz

Die Gleichung $x^2 = 2$ hat in den rationalen Zahlen keine Lösung.

Beweis

Wir führen einen Widerspruchsbeweis und nehmen dafür an, dass ein $x\in\mathbb{Q}$ mit $x^2 = 2$ existiert.

Wenn $x$ eine Lösung der Gleichung $x^2 = 2$ ist, dann auch $-x$. Damit gibt es mindestens eine positive Lösung. Es sei $x$ die positive Lösung.

Wegen $x\in\mathbb{Q}$ kann $x$ in der Form $x=\frac{s}{t}$ dargestellt werden, mit natürlichen Zahlen $s$ und $t$. Wir dürfen davon ausgehen, dass $s$ und $t$ teilerfremd sind, denn ansonsten kürzen wir den größten gemeinsamen Teiler heraus.

Mit diesen Überlegungen folgt: \begin{align} \Rightarrow &\quad x^2 = \frac{s^2}{t^2} = 2 \\ \Rightarrow &\quad s^2 = 2 t^2 \\ \Rightarrow &\quad 2|s^2 \end{align} Das Symbol $|$ steht für "ist Teiler von". Die Zahl $2$ ist also ein Teiler von $s^2$. Da aber $s$ und $s^2$ die gleichen Primfaktoren haben, $s^2$ nur in der doppelten Anzahl gegenüber $s$, muss $2$ auch ein Teiler von $s$ sein, also \begin{align} \Rightarrow &\quad 2|s \\ \Rightarrow &\quad s = 2u \end{align} für ein passendes $u \in \N$. Diese Folgerung ist nicht anderes als die Definition von "ist Teiler von". Zur Erinnerung aus den mathematischen Grundlagen: Für zwei ganze Zahlen $a,b \in \mathbb{Z}$ gilt $a|b$ genau dann, wenn ein $k\in\mathbb{Z}$ existiert, mit $ka = b$.

Jetzt setzen wir die Gleichung $s=2u$ in die Gleichung $s^2 = 2 t^2$ von oben ein. \begin{align} \Rightarrow &\quad 4u^2 = 2t^2 \\ \Rightarrow &\quad 2u^2 = t^2 \\ \Rightarrow &\quad 2 | t^2 \\ \Rightarrow &\quad 2 | t \end{align} Also folgt, dass $2$ sowohl Teiler von $s$ als auch von $t$ ist. Dies ist ein Widerspruch dazu, dass $s$ und $t$ teilerfremd sind.

Tatsächlich kann man diesen Beweis in analoger Weise für jede beliebige Primzahl $p$ führen. Dass heißt, dass die Gleichung $x^2=p$ für jede Primzahl $p$ keine rationale Lösung hat. Diese verallgemeinerte Aussage sollst Du als Übung beweisen.

Übung

Zeige: Für jede Primzahl $p$ hat die Gleichung \[ x^2 = p \] keine rationale Lösung.

Annahme: Es existiert $x\in\mathbb{Q}$ mit $x^2 = p$.

Dann sei $x$ die positive Lösung dieser Gleichung. Damit existieren teilerfremde Zahlen $s,t\in\N$ mit $x=\frac{s}{t}$. \begin{eqnarray*} & \Rightarrow & x^2 = \frac{s^2}{t^2} = p \\ & \Rightarrow & s^2 = p t^2 \\ & \Rightarrow & p | s^2 \\ & \Rightarrow & p | s \\ & \Rightarrow & \exists u\in\N: s = pu \\ & \Rightarrow & p^2 u^2 = p t^2 \\ & \Rightarrow & p u^2 = t^2 \\ & \Rightarrow & p | t^2 \\ & \Rightarrow & p | t \end{eqnarray*} Also folgt, dass $p$ sowohl ein Teiler von $s$ als auch von $t$ ist, was ein Widerspruch dazu ist, dass $s$ und $t$ teilerfremd sind.

Eine Winzigkeit schwieriger wird es, wenn auf der rechten Seite der Gleichung keine Primzahl mehr steht. Die kleinste natürliche Zahl, die weder Prim- noch Quadratzahl ist, ist die $6$. Auch $x^2=6$ hat keine Lösung in den rationalen Zahlen. Der Beweis hierfür ist wiederum eine Übung.

Übung

Zeige: Die Gleichung \[ x^2 = 6 \] hat keine rationale Lösung.

Annahme: Es existiert $x\in\mathbb{Q}$ mit $x^2 = 6$.

Dann sei $x$ die positive Lösung dieser Gleichung. Damit existieren teilerfremde Zahlen $s,t\in\N$ mit $x=\frac{s}{t}$. \begin{eqnarray*} & \Rightarrow & x^2 = \frac{s^2}{t^2} = 6 \\ & \Rightarrow & s^2 = 6 t^2 \\ & \Rightarrow & 6 | s^2 \end{eqnarray*} Die Primfaktorzerlegung für die $6$ lautet: $6 = 2\cdot 3$. \begin{eqnarray*} & \Rightarrow & 2 | s^2 \wedge 3 | s^2 \\ & \Rightarrow & 2 | s \wedge 3|s \\ & \Rightarrow & 6 | s \\ & \Rightarrow & \exists u \in \N: s = 6u \\ & \Rightarrow & 36u^2 = 6 t^2 \\ & \Rightarrow & 6 u^2 = t^2 \\ & \Rightarrow & 6 | t^2 \\ & \Rightarrow & 2 | t^2 \wedge 3 | t^2 \\ & \Rightarrow & 2 | t \wedge 3 | t \end{eqnarray*} Damit sind $s$ und $t$ nicht teilerfremd und wir haben wieder einen Widerspruch.

Wir sehen, dass, auch wenn die rationalen Zahlen ein angeordneter und normierter Körper sind, wir bestimmte Gleichungen in den rationalen Zahlen nicht lösen können. Genau deshalb konstruieren wir die reellen Zahlen, in denen alle hier betrachteten Gleichungen eine Lösung haben werden. Für die Konstruktion der reellen Zahlen benötigen wir den Begriff des Supremums, der in der kommenden Blog-Folge vorgestellt wird.

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