Analysis-Blog: Folge 57
Peter Becker
veröffentlicht: 10 Jun 2021, zuletzt geändert: 19 Feb 2024 12:20
Schlüsselwörter: Zwischenwertsatz, Stetigkeit, Intervallschachtelung
Zeigen Sie, dass die Gleichung \[ \sqrt{x-1} = x-2 \] eine reelle Lösung besitzt.
Die gegebene Gleichung hat genau dort eine Lösung, wo die Funktion \[ f(x) := \sqrt{x-1} - x + 2 \] eine Nullstelle hat. Der Definitionsbereich dieser Funktion innerhalb der reellen Zahlen ist die Menge $[1,\infty)$. Als Verkettung und Linearkombination stetiger Funktionen ist $f$ stetig auf ihrem Definitionsbereich.
Nun gilt \[ f(2) = \sqrt{2-1} -2 + 2 = \sqrt{1} = 1 > 0 \] und \[ f(5) = \sqrt{5-1} - 5 + 2 = \sqrt{4} - 3 = 2 - 3 = -1 < 0. \] Damit hat nach dem Zwischenwertsatz die Funktion $f$ im Intervall $(2,5)$ eine Nullstelle und somit die gegebene Gleichung eine Lösung in $\R$.
Sei \[ f(x) = x^4 + 3x^3 - x^2 + 2x - 3. \] Geben Sie ein Intervall der Länge $\frac{1}{4}$ an, in dem die Funktion $f$ eine Nullstelle besitzt.
Die Funktion $f$ ist als Polynom stetig. Es gilt \[ f(0) = -3 \quad\text{und}\quad f(1) = 2. \] Also hat die Funktion nach dem Zwischenwertsatz im Intervall $(0,1)$ eine Nullstelle. Nun verkleinern wir das Intervall nun sukzessive. Es gilt \[ f\left(\frac{1}{2}\right) = \frac{1}{16} + \frac{3}{8} - \frac{1}{4} + 1 - 3 = \frac{1+6-4+16-48}{16} = -\frac{29}{16} < 0. \] Damit liegt eine Nullstelle im Intervall $\left[\frac{1}{2},1\right]$. Weiterhin gilt \[ f\left(\frac{3}{4}\right) = \frac{81}{256} + \frac{81}{64} - \frac{9}{16} + \frac{6}{4} - 3 = \frac{81 + 324 - 144 + 384 - 768}{256} = -\frac{123}{256} < 0. \] Somit ist $\left[\frac{3}{4},1\right]$ ein Intervall der Länge $\frac{1}{4}$, in dem eine Nullstelle der Funktion $f$ liegt.
Geben Sie ein Intervall der Länge $\frac{\pi}{12}$ an, in dem die Gleichung \[ \sin(x) = \cos^2(x) \] eine Lösung hat.
Wir betrachten die Funktion \[ f(x) = \sin(x) - \cos^2(x). \] Eine Nullstelle dieser Funktion ist eine Lösung der gegebenen Gleichung. Da Sinus und Cosinus stetig sind, ist auch die Funktion $f$ stetig. Nun gilt \[ f\left(\frac{\pi}{6}\right) = \sin\left(\frac{\pi}{6}\right) - \cos^2\left(\frac{\pi}{6}\right) = \frac{1}{2} - \left(\frac{\sqrt{3}}{2}\right)^2 = \frac{1}{2} - \frac{3}{4} < 0 \] und \[ f\left(\frac{\pi}{4}\right) = \sin\left(\frac{\pi}{4}\right) - \cos^2\left(\frac{\pi}{4}\right) = \frac{\sqrt{2}}{2} - \left(\frac{\sqrt{2}}{2}\right)^2 = \frac{\sqrt{2}}{2} - \frac{1}{2} > 0. \] Damit hat die Funktion $f$ im Intervall $\left[\frac{\pi}{6},\frac{\pi}{4}\right]$ eine Nullstelle. Die Intervallänge ist \[ \frac{\pi}{4} - \frac{\pi}{6} = \frac{6\pi - 4\pi}{24} = \frac{2\pi}{24} = \frac{\pi}{12}. \]
Zeigen Sie: Die Gleichung \[ \frac{1}{2} x = \cos(x) \] hat eine Lösung in $\R$.
Ermitteln Sie eine approximative Lösung für die Gleichung aus (i) mit einer Genauigkeit von $10^{-12}$. D. h. wenn $x$ die wahre und $\hat{x}$ Ihre approximative Lösung ist, dann muss $|x-\hat{x}| \leq 10^{-12}$ gelten.
Die gegebene Gleichung hat genau dort eine Lösung, wo die Funktion \[ f(x) := \frac{1}{2}x - \cos(x) \] eine Nullstelle hat. Als Linearkombination von stetigen Funktionen ist $f$ stetig auf $\R$. Es gilt \[ f(0) = -\cos(0) = -1 < 0 \] und \[ f\left(\frac{\pi}{2}\right) = \frac{1}{2}\cdot \frac{\pi}{2} - \cos\left(\frac{\pi}{2}\right) = \frac{\pi}{4} > 0. \] Gemäß Zwischenwertsatz hat damit die Funktion $f$ im Intervall $\left[0,\frac{\pi}{2}\right]$ eine Nullstelle.
Das folgende Java-Programm berechnet nach dem Prinzip der Intervallschachtelung eine approximative Lösung $\hat{x}$ mit der vorgegebenen Genauigkeit.
1 public class Nullstelle2 { 2 3 private static final double EPS = 1e-12; 4 5 private static double f(double x) { 6 return x/2 - Math.cos(x); 7 } 8 9 public static void main(String[] arg) { 10 double eps2 = 2*EPS; 11 double a = 0; 12 double b = Math.PI/2; 13 double m; 14 15 while (b-a > eps2) { 16 m = (a+b)/2.0; 17 if (f(m) >= 0) { 18 b = m; 19 } 20 else { 21 a = m; 22 } 23 } 24 25 m = (a+b)/2.0; 26 System.out.printf("%.12f\n",m); 27 } 28 }Als Ergebnis erhält man \[ \hat{x} = 1.029866529323. \]
Es sei $f[0,1] \rightarrow [0,1]$ eine stetige Funktion.
Zeigen Sie: Die Funktion $f$ hat einen Fixpunkt, d. h. es existiert ein $x\in[0,1]$ mit $f(x) = x$.
Es sei $f[0,1] \rightarrow \R$ eine stetige Funktion mit $f(0) = f(1)$.
Zeigen Sie, dass ein $x\in\left[0,\frac{1}{2}\right]$ existiert mit $f(x) = f\left(x+\frac{1}{2}\right)$.
Hinweis: Betrachten Sie die Funktion $g(x) := f(x) - f\left(x+\frac{1}{2}\right)$.
Mit der Definition für $g(x)$ aus dem Hinweis ergibt sich \[ g(0) = f(0) - f\left(\frac{1}{2}\right) \quad\text{und}\quad g\left(\frac{1}{2}\right) = f\left(\frac{1}{2}\right) - f(1) \] und somit \[ g(0) = -g\left(\frac{1}{2}\right). \] Für den Fall, dass $g(0) = 0$ gilt, ergibt sich $f(0) = f\left(\frac{1}{2}\right)$, womit für $x=0$ die geforderte Gleichung $f(x) = f\left(x+\frac{1}{2}\right)$ schon erfüllt ist.
Gilt dagegen $g(0) \neq 0$ so ergibt sich \[ g(0)\cdot g\left(\frac{1}{2}\right) = -g^2(0) < 0. \] Außerdem ist die Funktion $g$ als Verkettung und Linearkombination von $f$ eine stetige Funktion. Damit sind die Voraussetzungen für den Zwischenwertsatz erfüllt. Es existiert somit ein $x\in\left(0,\frac{1}{2}\right)$ mit $g(x) = 0$. Nun gilt \[ g(x) = 0 \Leftrightarrow f(x) - f\left(x+\frac{1}{2}\right) = 0 \Leftrightarrow f(x) = f\left(x+\frac{1}{2}\right). \]
Geben Sie ein Intervall mit einer Länge $\leq 1$ an, in dem die Funktion \[ f(x) = x\,\exp(x) + x - 2 \] eine Nullstelle hat, und zeigen Sie, dass diese Nullstelle eindeutig ist.
Die Funktion $f$ ist als Kombination von stetigen Funktionen stetig auf $\R$. Es gilt $f(0) = -2 < 0$ und \[ f(1) = 1\cdot \exp(1) + 1 - 2 = \exp(1) - 1 = \e-1 > 0. \] Damit hat die Funktion nach dem Zwischenwertsatz eine Nullstelle im Intervall $(0,1)$.
Aus $x < 0$ folgt wegen $\exp(x) > 0$ die Ungleichung $x\,\exp(x) < 0$ und damit auch $x\,\exp(x) + x - 2 = f(x) < 0$. Also kann keine Nullstelle im Intervall $(-\infty,0)$ existieren.
Sei nun $x_0$ eine Nullstelle aus dem Intervall $(0,1)$ und $x_1$ sei eine weitere von $x_0$ verschiedene Nullstelle. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gilt $x_1 > x_0$ oder $0 < x_1 < x_0$. Weiterhin gilt: Aus $0 < x_0 < x_1$ folgt $x_0^n < x_1^n$ für alle $n\in\N$, damit auch $\sum_{n=0}^\infty \frac{x_0^n}{n!} < \sum_{n=0}^\infty \frac{x_1^n}{n!}$ und somit $\exp(x_0) < \exp(x_1)$.
Wir betrachten den Fall $x_0 < x_1$. \[ x_0 < x_1 \Rightarrow x_0\exp(x_0) < x_1\exp(x_1) \Rightarrow x_0\exp(x_0) + x_0 -2 < x_1\exp(x_1) + x_1 - 2 \Rightarrow f(x_0) < f(x_1). \] Dies ist ein Widerspruch zu $f(x_0) = 0 = f(x_1)$.
Analog führt man auch $0 < x_1 < x_0$ zum Widerspruch.
Also kann es keine von $x_0$ verschiedene Nullstelle $x_1$ geben. Damit ist die Eindeutigkeit gezeigt.