\( \newcommand{\I}{\textnormal{i}} \newcommand{\e}{\textnormal{e}} \renewcommand{\Re}{\textnormal{Re}} \renewcommand{\Im}{\textnormal{Im}} \newcommand{\R}{\mathbb{R}} \newcommand{\N}{\mathbb{N}} \newcommand{\Z}{\mathbb{Z}} \newcommand{\C}{\mathbb{C}} \newcommand{\K}{{\cal K}} \)

Analysis-Blog: Folge 63

Stetigkeit, Monotonie und Umkehrfunktion

Wann hat eine stetige Funktion eine Umkehrfunktion?


Peter Becker

veröffentlicht: 24 Oct 2024, zuletzt geändert: 12 May 2025 12:08

Schlüsselwörter: Stetigkeit, Monotonie, Umkehrfunktion

Umkehrfunktion

Aus den mathematischen Grundlagen sollte Dir der Begriff der Umkehrfunktion bekannt sein. Zur Erinnerung: Zu einer bijektiven Funktion $f:D \rightarrow B$ können wir deren Umkehrfunktion $f^{-1}:B \rightarrow D$ aufstellen. Die Umkehrfunktion hat die Eigenschaft, dass sie jedem Element $b\in B$ des Bildbereichs das eindeutig bestimmte Urbild aus dem Definitionsbereich $D$ zuordnet. D. h., wenn für die Funktion $f$ gilt \[ f(a) = b, \] dann gilt für die Umkehrfunktion \[ f^{-1}(b) = a. \] Die folgende Grafik veranschaulicht beispielhaft diese definitorische Eigenschaft der Umkehrfunktion.

Umkehrfunktion
Autor: Stephan Kulla, Quelle: commons.wikimedia.org, Lizenz: CC BY 3.0 DEED

In dieser Blog-Folge wollen wir der Frage nachgehen, unter welchen Voraussetzungen eine stetige Funktion eine Umkehrfunktion hat und ob die Umkehrfunktion dann auch wieder stetig ist. Diese Untersuchungen werden wir dann in einer weiteren Blog-Folge nutzen, um die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion aufzustellen und zu analysieren.

Monotonie

Für die nachfolgenden Betrachtungen benötigen wir den Begriff der Monotonie bei Funktionen. Für Folgen ist uns dieser Begriff ja schon bekannt, jetzt erweitern wir ihn auf Funktionen.

Definition

Es sei $D\subseteq \R$.

Eine Funktion $f D \rightarrow \R$ heißt

  • monoton wachsend, wenn für alle $x,x' \in D$ gilt: \[ x < x' \Rightarrow f(x) \leq f(x'). \] Wenn sogar die strikte Ungleichung $f(x) < f(x')$ folgt, dann nennen wir $f$ streng monoton wachsend.
  • monoton fallend, wenn für alle $x,x' \in D$ gilt: \[ x < x' \Rightarrow f(x) \geq f(x'). \] Wenn sogar die strikte Ungleichung $f(x) > f(x')$ folgt, dann nennen wir $f$ streng monoton fallend.

Es ist immer gut, einen neuen Begriff gleich mal anzuwenden.

Lemma

Die Exponentialfunktion $\exp: \R \rightarrow \R$ ist streng monoton wachsend.

Beweis

Für $x > 0$ gilt \[ \exp(x) = 1 + x \sum_{n=2}^\infty \frac{x^n}{n!} \geq 1 + x > 1. \] Damit folgt für $x,x' \in \R$ mit $x < x'$: \[ \exp(x') = \exp(x' -x + x) = \underbrace{\exp(x'-x)}_{> 1} \underbrace{\exp(x)}_{> 0} > \exp(x). \] Also ist $\exp(x)$ streng monoton wachsend.

Existenz einer Umkehrfunktion

Der folgende Satz zeigt uns, dass die strenge Monotonie die wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass eine stetige Funktion eine Umkehrfunktion hat.

Satz

Es sei $f:[a,b] \rightarrow \R$ eine stetige, streng monoton wachsende Funktion mit $A := f(a)$ und $B := f(b)$.

Dann bildet $f$ das Intervall $[a,b]$ bijektiv auf das Intervall $[A,B]$ ab und besitzt daher eine Umkehrfunktion $f^{-1}:[A,B] \rightarrow [a,b]$.

Beweis

Für den Beweis müssen wir zeigen, dass die Funktion $f$ das abgeschlossene Intervall $[a,b]$ bijektiv auf $[A,B]$ abbbildet, dass also $f:[a,b] \rightarrow [A,B]$ eine bijektive Funktion ist.

Aus $a < x < b$ folgt wegen der strengen Monotonie $A = f(a) < f(x) < f(b) = B$ und somit $f([a,b]) \subseteq [A,B]$. Damit ist gewährleistet, dass keine Funktionswerte von $f$ ausserhalb von $[A,B]$ liegen, wir $f$ also tatsächlich als Funktion der Art $f:[a,b] \rightarrow [A,B]$ betrachten dürfen.

Eine Funktion ist genau dann bijektiv, wenn sie surjektiv und injektiv ist. Wir untersuchen jetzt diese beiden Eigenschaften.

surjektiv: Die Funktion $f$ erfüllt die Voraussetzungen des Zwischenwertsatzes. Mit diesem folgt, dass es für alle $y\in [A,B]$ ein $x\in[a,b]$ gibt, so dass $f(x) = y$ gilt. Also ist $f$ surjektiv.

injektiv: Es sei $x,x' \in [a,b]$ mit $x\neq x'$. Dann gilt entweder $x < x'$ oder $x> x'$.

Aus $x < x'$ folgt wegen der strengen Monotonie $f(x) < f(x')$ und somit $f(x) \neq f(x')$.

Analog folgt aus $x > x'$ ebenfalls $f(x) \neq f(x')$.

Also gilt insgesamt: \[ \forall x,x' \in [a,b]: x \neq x' \Rightarrow f(x) \neq f(x'). \] Dies entspricht genau der Injektivität von $f$.

Damit ist der Satz bewiesen.

Der Beweis macht sehr gut deutlich, wofür wir die Voraussetzungen des Satzes brauchen. Die Stetigkeit sorgt dafür, dass wir im Intervall $[A,B]$ keine Lücken haben, was zur Surjektivität führt. Die strenge Monotonie sorgt dafür, dass unterschiedliche Argumente stets auch unterschiedliche Funktionswerte haben, was die Injektivität bedingt.

Wir können Umkehrfunktionen natürlich nicht nur für stetige und streng monoton wachsende Funktionen definieren, sondern auch für stetige, streng monoton fallende Funktionen. Den Beweis hierfür können wir vollkommen analog zum vorigen Beweis führen.

Korollar

Es sei $f:[a,b] \rightarrow \R$ eine stetige, streng monoton fallende Funktion mit $A := f(a)$ und $B := f(b)$.

Dann bildet $f$ das Intervall $[a,b]$ bijektiv auf das Intervall $[B,A]$ ab und besitzt daher eine Umkehrfunktion $f^{-1}:[B,A] \rightarrow [a,b]$.

Eigenschaften der Umkehrfunktion

Nachdem wir nun wissen, unter welchen Voraussetzungen eine stetige Funktion eine Umkehrfunktion hat, untersuchen wir nun die Eigenschaften der Umkehrfunktion.

Satz

Es sei $f: [a,b] \rightarrow [A,B]$ mit $A=f(a)$ und $B=f(b)$ stetig und streng monoton wachsend.

Dann ist die Umkehrfunktion $f^{-1}: [A,B] \rightarrow [a,b]$ ebenfalls stetig und streng monoton wachsend.

Beweis

Wir müssen zwei Eigenschaften der Umkehrfunktion $f^{-1}$ nachweisen: das streng monotone Wachstum und die Stetigkeit.

Streng monotes Wachstum der Umkehrfunktion: Es seien $y,y' \in [A,B]$ mit $y < y'$. Dann existieren $x,x' \in [a,b]$ mit $f^{-1}(y) = x$ und $f^{-1}(y') = x'$. Aus der Eigenschaft der Umkehrfunktion folgt $f(x) = y$ und $f(x') = y'$.

Annahme: Es gilt $x \geq x'$. Dann würde aus der Monotonie von $f$ \[ y = f(x) \geq f(x') = y'. \] folgen, was ein Widerspruch zu $y < y'$ ist.

Also folgt aus $y < y'$ auch $f^{-1}(y) < f^{-1}(y')$, womit die Umkehrfunktion $f^{-1}$ streng monoton ist.

Stetigkeit der Umkehrfunktion: Wir nutzen das $\epsilon$-$\delta$-Kriterium, um zu zeigen, dass die Umkehrfunktion $f^{-1}$ an einer beliebigen Stelle $y_0 \in [A,B]$ stetig ist.

Es sei also $y_0 \in [A,B]$ beliebig. Weiterhin sei $\epsilon > 0$ beliebig. Zur Erinnerung: Um die Gültigkeit des $\epsilon$-$\delta$-Kriteriums nachzuweisen müssen wir ein $\delta > 0$ konstruieren, so dass gilt: \[ \forall y \in [A,B] : |y-y_0| < \delta \Rightarrow |f^{-1} - f^{-1}(y_0)| < \epsilon. \]

Hierzu definieren wir \[ x_0 := f^{-1}(y_0), x_- := x_0 - \epsilon, x_+ := x_0 + \epsilon. \] Damit gilt einerseits $x_- < x_0 < x_+$ und andererseits wegen der strengen Monotonie auch $y_- := f(x_-) < y_0 < f(x_+) =: y_+$.

Wir wählen $\delta \leq \min\{y_+-y_0, y_0 - y_-\}$. Damit gilt auch $\delta > 0$.

Mit dieser Konsruktion von $\delta$ folgt \[ y_- \leq y_0 - \delta \quad\text{und}\quad y_+ \geq y_0 + \delta \] und somit für alle $y \in [A,B]$ mit $|y-y_0| < \delta$: \[ y_- \leq y_0 - \delta < y < y_0 + \delta \leq y_+. \]

Wegen des streng monotonen Wachstums folgt \[ x_- < f^{-1}(y) < x_+, \] und damit gemäß der Definition von $x_-$ und $x_+$ \[ |f^{-1}(y) - f^{-1}(y_0)| < \epsilon. \]

Damit haben wir nachgewiesen, dass das $\epsilon$-$\delta$-Kriterium für $y_0$ erfüllt ist. Also ist $f^{-1}$ stetig.

In der nächsten Blog-Folge nutzen wir die hier gezeigten Sätze aus, um die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion zu definieren: die Logarithmusfunktion.

Teilen und Drucken